Wir steigen in die S-Bahn, hinter uns sitzt ein Mann allein auf einem Vierersitz, er riecht nicht gut und hängt schräg über zwei Sitze. Er schläft, manchmal grunzt oder schnarcht er. Nix Besonderes, ein Betrunkener eben, man hält die Luft an und hofft, dass die offenen Fenster in der Bahn für Frischluft sorgen. Und dann rutscht der Mann vom Sitz und liegt auf dem Fußboden, er liegt nicht mehr in seinem Vierersitz sondern auf dem Gang, er ist ganz ruhig, dann zucken die Augen. Für mich war in diesem Moment alles in Ordnung, im Rahmen der Situation.
Eine junge Frau sah das anders, sie alarmierte den Notarzt, der empfahl, die Notbremse zu ziehen. Zwischenzeitlich kam eine weitere junge Frau zu dem Mann, sie sprach nur englisch und erkärte dass sie Krankenschwester sei. Sie bat eine Mitfahrerin zu übersetzen. „Haben Sie Schmerzen?, Öffnen Sie bitte die Augen! Ich nehme jetzt ihre Tasche beiseite, damit Sie besser Luft bekommen“. Zwischendurch fragten weitere Mitfahrer, ob die Krankenschwester Hilfe braucht, Taschentücher und Gummihandschuhe wurden durch den Waggon gereicht. Der Mann lag mittlerweile in stabiler Seitenlage und grunzte. Die englische Krankenschwester untersuchte ihn und kam zu dem Schluss, dass der Mann stark betrunken sei. Dann kam der Notarzt und setzte den Mann auf dem Bahnsteig auf eine Trage. Er war schon wieder eingeschlafen.
Diese Situation hat mich berührt. Berührt deshalb weil sich doch viele Menschen um ihre Mitmenschen sorgen, helfen und Hilfe holen.
Diese Situation hat mich zugleich befremdet und mir ein wenig Angst vor mir selbst gemacht. Bin ich wirklich so abgestumpft ? Wären wir allein mit dem Mann in der Bahn gewesen, wären wir wohl irgendwann ausgestiegen, ohne Hilfe zu holen. Vermutlich hätte der Mann dann auf dem Boden seinen Rausch ausgeschlafen. Aber auch Betrunkene haben mal einen Herzinfarkt.