mein Mauerfall, die Wendezeit und heute – eine persönliche und nicht repräsentative Betrachtung

Hmm, also dieser Trubel und Aufriss zum 25jährigen Mauerfall auf allen Kanälen, in allen Medien, macht mich nachdenklich. Es ist ja ein großer deutscher Feiertag, ein Feiertag der Deutschen, wahrscheinlich der einzige historische Anlass in Deutschland zu feiern und nicht auf die stille Treppe der Geschichte zu müssen oder Schlimmeres.

Ich lebe ja nun schon ein paar Jahre mehr in der Bundesrepublik als in der DDR doch ich überlege immernoch, wie ich mich fühle. Als DDR-Bürger nicht mehr, als Westdeutscher vielleicht, als Gesamtdeutscher, hmm. Für mich passt da nix so wirklich richtig, ich lebe hier in diesem Land, spreche die Sprache, doch voller Stolz Deutscher zu sein fällt schwer.

Die Wende war in meiner Biografie der größte Einschnitt, die Existenz wurde mir unter den Füßen weggerissen, die Zukunft war nicht planbar, die Perspektive ungewiss. Der Arbeitsplatz wurde abgewickelt, mein Studium konnte ich nicht weiterführen, hinzu kam die Trennung im privaten Bereich, die Scheidung.  Aber im Einzelnen (selektiv):

der Tag der Maueröffnung

Den 09. November 1989 verbrachte ich ganz unspektakulär nicht in Berlin, sondern bei einem betrieblichen Lehrgang in der Nähe von Rangsdorf mit Bildungsprogramm, Essen, Trinken, Tanz. Die Nachricht der Maueröffnung erreichte uns erst am nächsten Morgen und die Betriebsleitung bewahrte Contenance. Man müsse eben abwarten, was kommt und wie sich alles entwickele.  Die Nachricht der Maueröffnung an sich war natürlich überraschend, irgendwie unfassbar; allerdings befand sich ja mit dem Machtwechsel Honeckers/Krenz das ganze Land eh schon in einer Situation, in der man wusste, dass etwas passieren würde und müsste, nur die Richtung war eben nicht klar.

mein Studium

Ich studierte zur Wendezeit in Leipzig Produktionsmittelhandel, das war so etwas wie Betriebswirtschaft des Sozialismus. In der Praxis war das Verwaltung der Mangelwirtschaft, klar, dass das Studium nicht weitergeführt werden konnte. Meine Alternative wäre ein völliger Neuanfang als Vollzeitstudent in Leipzig gewesen, was ohne Einkommen und mit den Kindern nicht machbar war. Eine Fortsetzung nach der Wende gab es nicht, dafür dann eine Umschulung in ein völlig anderes Berufsfeld.

meine Arbeit

Ich arbeitete zur Wendezeit im Versorgungskontor Industrietextilien Berlin (VK Intex), das war ein Versorgungsbetrieb für Produktionsmittel und eine Tochterfirma des Textilkombinats Karl-Marx-Stadt Wir handelten mit Gardinen und Dekostoffen für Betriebe, hauptsächlich Schulen, Kindergärten und andere Einrichtungen. Ich war Leiter einer Betriebsstätte in Berlin und hätte nach dem Studium Direktor für Handel oder Technik oder sogar Betriebsleiter für ganz Berlin werden können.

Im Sortiment war auch Baby- und Kinderbekleidung und Wolle. Die Baby- und Kinderkleidung wurde direkt an Kindergärten und -krippen geliefert, die Kinder trugen oft tagsüber die Kleidung des Kindergartens oder der Krippe und wurden beim Abholen umgezogen. Die Kleidung wurde in den Kindergärten und Krippen gewaschen und auch repariert. Ich habe noch ein Bild meines großen Sohnes, als der ca. 4 Jahre alt war mit Trainingshose (heute Jogginghose) und Pullover im Kindergartenlook.

die Kinder/Kindergarten/Schule/Bildung

lebten in der DDR recht gut. Kinderkleidung war subventioniert, Essen und Getränke gab es in der Krippe, im Kindergarten und auch in der Schule. Es gab Freizeitaktivitäten, ein Kinobesuch kostete 25 – 50 Pfennige, auch Tierpark, Ferienlager, Theater, konnte sich fast jeder leisten.

Hier gab es für mich in der Wendezeit den größten Bruch. Aus Hort, Kindergarten und Krippe mit Bildungsauftrag wurden Aufbewahrungseinrichtungen. Während die Kinder der DDR bereits im Kindergarten Zahlen, Farben, Mengen lernten und der Tag in Spiel- und Lernphasen strukturiert war, ließ das in der Wendezeit sehr nach.  Die Öffnungszeiten der Einrichtungen änderten sich, das Mutter=Hausfrau-Modell kam auf, wobei natürlich einige der Frauen meiner Umgebung zu Hause blieben, weil sie ihre Arbeit verloren hatten. Dennoch, das Hausfrauenmodell war für mich vollständig neu und mir war es unerklärlich, wie man mit und vor allem ohne Kinder einfach nur Hausfrau sein konnte.

Die Kinder der DDR lernten in der ersten Klasse bereits bis zu den Weinachtsferien alle Buchstaben. Sie konnten diese lesen und schreiben und zwar lernte man die vereinfachte Ausgangsschrift, also die Schreibschrift ohne Schnörkel. Mein Neffe in Westberlin lernte zu gleicher Zeit, allerdings innerhalb von 2 Schuljaren die normale Ausgangsschrift, was ich recht antiquiert fand.

Man konnte in der DDR die Volkshochschule besuchen und z.B. Fremdsprachen lernen. Ich selbst lernte Englisch auf der Volkshochschule, während ich in der Schule Russisch und Französisch lernte.

Allgemein war das Bildungsniveau der DDR für mich höher, als das der Bundesrepublik zu Wendezeiten und auch im Vergleich zu Heute.

die Versorgung in der DDR und was alles neu war nach der Wähnungsunion

In der DDR gab es Möhren, Kohl, Kartoffeln, Reis, Haferflocken, Mehl, Zucker, Milch und Brot, Fleisch, Wurst, Bier und Schnaps recht zuverlässig. Anders sah es mit anderen Gemüsesorten, Obst, Südfrüchten (frisch und aus der Dose) aus und teilweise verarbeiteten Produkten wie Fruchtjoghurt. Man kaufte anders ein. Zum einen schaute man, was es gerade gab und das wurde dann gekocht und gegessen; zum anderen verabeitete man viele Grundprodukte eben selbst. Kuchen wurde gebacken, Quarkspeise wurde aus Quark und Marmelader oder Zucker und Früchten angerührt. Die Schokolade aus dem Westen schmeckte um ein Vielfaches besser als die aus der DDR. Rohstoffe wie Kakao mussten importiert werden und standen nicht immer zur Verfügung. So wurden Surrogate entwickelt, die natürlich nicht so wir das Original schmeckten. So kamen z.B. getrocknete grüne Tomaten statt Zitronat in den Stollen; statt Marzipan aus Mandeln gab es Persipan aus Aprikosenkernen. Und ob in der Bambina-Schookolade oder der Schlager-Süßtafel jemals Kakao drin war, möchte ich auch heute lieber nicht wissen.

Recht skuril fand ich, dass mit dem Tag der Währungsunion die DDR-Kaufhallen ausgeräumt und mit Lebensmitteln aus dem Westen befüllt wurden. So richtig verstanden habe ich das nicht, Milch aus einem Berliner Milchhof wurde ersetzt durch Milch aus Bayern.

die Umwelt

war in der DDR kein Thema und doch recht gegenwärtig, wenn man im Chemiedreieck Leuna/Buna/Bitterfeld wohnte oder wie ich in Leipzig studierte. Es wurde in Fabriken produziert, in denen teilweise noch Maschinen aus den 30iger Jahren standen. Es wurde Braunkohle abgebaut und verheizt. Während meines Studienaufenthalts in Leipzig gab es Tage, an denen der Smog so stark war, dass ich einmal auf der Straße die Orientierung verlor, die Sicht war unter 10 m, würde ich sagen.

was mir die Maueröffnung gebracht hat

zuerst einen Farbferseher vom Begrüßungsgeld, einen ganz kleinen mit 38 cm Bildröhre, aber einen Farbfernseher. Und im Laufe der Zeit natürlich andere feine Sachen, einen Geschirrspüler zum Beispiel und natürlich die große weite Welt. Mein Herz hängt an den Dolomiten, Dänemark und Schottland, obwohl uns die erste Auslandsreise nach Paris führte.

Und neben materiellen Dingen, der Reisefreiheit natürlich auch die persönliche Freiheit, Dinge zu entscheiden und zu gestalten, wie ich es will. Insofern war die Wende ein guter, wichtiger und folgerichtiger Schritt in der deutschen Geschichte und in meinem Leben.

 

Über meine Kindheit an der Mauer hatte ich hier bereits geschrieben.