Heute waren wir auf dem Flohmarkt im Mauerpark. Ich mag diesen Markt sehr, meine bevorzugten Stände dort sind der Stoff- und der Schneiderstand. Daneben gibt es viele Stände mit selbst gefertigten, vor allem genähten Sachen, Inspiration also.
Und – es gibt viele andere Stände und Händler und das Publikum scheint an manchen Tagen nur noch fremdsprachig zu sein. Heute kursierten an vielen Ständen Bilder, Fotos, Stücke und Relikte der Berliner Mauer, bunt oder grau brachten echte und falsche Fragmente die Touristen zum Staunen, ja, an der Mauer wäre man auch schon gewesen, es war toll.
Irgendwie sträuben sich mir da immer noch die Haare, nach all den Jahren kann ich die Mauer, deren bunte Reste und den damit verbundenen Disneylandtourismus noch immer nicht toll finden. Sorry Leute aber die Mauer hat für viele eine andere Bedeutung.
Ich bin ein Mauerkind, verbrachte meine Kindheit, also die Schulzeit bis zur 10. Klasse in Berlin Prenzlauer Berg nahe der Mauer, unweit des heutigen S-Bahnhofes Bornholmer Straße, der seinerzeit weder ein S-Bahnhof noch eine Straße war, sondern ein Grenzübergang, eben „die Grenze“.
Selbst jetzt schwingt für mich bei dem Wort „Grenze“ etwas Bedrohliches mit. Denn Mauer = Grenze bedeutete für mich
- Grenzanlagen
- das Ende der Welt
- Alarme in der Nacht
- Schüsse am Tag
- im Grenzland stehenbleibende S-Bahnen
- wiederum Schüsse
- Klassenkameraden, die man nicht besuchen durfte, nicht mal zu deren Geburtstag, weil sie im Grenzgebiet lebten und man einen Passierschein brauchte, den man als Kinder aber nicht bekam, weil keinen Antrag gestellt und keinen Ausweis hatte
- kindliche Erkundungsgänge durch die teils verbundenen Keller- und Dachgeschosse der Altbauten mit Bunkertüren und Phosphorbeschriftungen der Wege, größtentels unberührt seit dem 2. Weltkrieg
- Klassenkameraden, die von ihrem Kinderzimmer aus eine Hand auf die Mauer legen konnte, und die man nicht besuchen durfte, s.o.
- zugemauerte Fenster und Türen in der Straße parallel zur Mauer
- patrouillierende Grenzer und Grenzfahrzeuge
- Klassenkameraden, die beim Klettern an der Mauer verhaftet wurden
Kurzum, in meiner Kindheit endete nahezu jede Straße an der Mauer, jeder meiner Klassenkameraden wohnte in solch einer Straße, es war bedrückend und beängstigend.
Den heutigen Hype um die Mauer und deren Reste kann ich nicht verstehen. Mir ist es auch recht egal, ob die Mauerreste der East Side Gallery stehenbleiben, abgetragen werden, eine Lücke bekommen oder auch nicht, denn mit „der Mauer“ hat das nichts zu tun und die Erinnerung ist eine andere.